Am 4. März 1919 demonstrierten in vielen Städten des Sudetenlandes die Deutschen für das Selbstbestimmungsrecht; dieser Tag ist in die Geschichte der Sudetendeutschen eingegangen. Am Tage vorher kam es in Eger aus banalem Anlaß ebenfalls zu einem erschütterndem Ereignis. Nachfolgend der amtliche Bericht, abgedruckt in der "Egerer Zeitung".

Eger, am 5. März.

In den Straßen Egers wurde geschossen.

– Menschenleben sind wohlfeil geworden in der Zeit der großen Menschenschlächtereien ...

Im Nachstehenden geben wir den amtlichen Polizeibericht über die Vorgänge am vorgestrigen Abend wieder:

"Am 3. d. M. 10 Minuten vor 6 Uhr abends ging der Stadtsekretär Karl Müller durch die Judengasse und Langegasse nachhause. Beim Einmünden der Langegasse in die Rotkirchstraße erblickte er eine aus etwa 100 Personen bestehende Menschenmenge, Männer, Frauen, zumeist aber jugendliche Personen. An der Spitze marschierten zwei tschechoslowakische Soldaten und in deren Mitte befand sich ein junger Bursche. Stadtsekretär Müller ließ die Menge an sich herankommen und erkundigte sich beim Handelskammersekretär Dr. Wawrecka und beim Kaufmann Adolf Schmidt (Theaterplatz 8 wohnhaft), weshalb der junge Mann verhaftet wurde. Beide Herren erklärten, daß die Verhaftung deshalb erfolgte, weil der Verhaftete ein Plakat mit der Überschrift "Deutsche Mitbürger" und gefertigt von Slezacek herabgerissen hatte. Aus der Menge wurden Rufe laut: "Den lassen wir nicht zur tschechoslowakischen Militärpolizei bringen, denn dort wird er verprügelt." Da Stadtsekretär Müller schon öfters gehört hatte, daß Deutsche, die von der tschechischen Militärpolizei verhaftet worden waren, geschlagen wurden und ihm ein solcher Fall auch einer protokollarischen Einvernahme bekannt war, rief er den beiden tschechoslowakischen Soldaten "Halt" zu. Dieselben blieben stehen und Stadtsekretär Müller nannte ihnen seinen Namen und seine amtliche Stellung. Einer der Soldaten verstand deutsch und zeigte sich auch zur Umkehr willig. Der zweite aber, der kein Wort deutsch verstand, machte keine Miene, umzukehren, weshalb aus der Menge Rufe: "Umkehren, gehorchen!" laut wurden. Daraufhin zog der zweitgenannte Soldat seinen Revolver und hielt ihn gegen die Umstehenden, die daraufhin natürlich gleichfalls eine drohende Haltung annahmen. Der Stadtsekretär erfaßte den Soldaten am Rockärmel und forderte ihn in tschechischer Sprache auf, mitzugehen. Es gelang schließlich, beide Tschechoslowaken zum Mitgehen zu bewegen. Die Menge folgte nach. Am Polizeiwachzimmer im Stadthause wurden die Personalien des Verhafteten festgestellt. Derselbe heißt Johann Sippl, ist am 25. Oktober 1901 in Eger geboren, Kontorist und in der Rotkirchstraße Nr. 6 wohnhaft.

Hierbei sei erwähnt, daß im Laufe der Nachmittags von tschechoslowakischen Soldaten Plakate der obenerwähnten Art an den städt. Plakattafeln eigenmächtig angeschlagen worden waren, welches Vorgehen bei der Bewohnerschaft Ärgernis erregte. Nach Sicherstellung der Person wurde Johann Sippl seinem Vater mit dem Auftrage, sofort nachhause zu gehen, übergeben. Hievon erwartete Herr Stadtsekretär Müller eine Beruhigung der vor dem Stadthause angesammelten Menge. Gleichzeitig wurde die Menge durch Wachtmeister Plail und zwei Polizisten aufgefordert, sich ruhig zu entfernen. Eine Weile nachher ging Herr Stadtsekretär Müller mit den beiden Tschechoslowaken auf den Marktplatz, woselbst sich letztere einigen in der Nähe des Stöckls befindlichen Tschechoslowaken anschlossen. Als Herr Stadtsekretär in die Nähe des Kaffee Pistorius kam, marschierte eine tschechoslowakische Streifwache unter Führung eines Offiziers von der Rotkirschstraße über den Marktplatz die Bahnhofstraße hinein. Hiebei sei erwähnt, daß bei der Anhaltung der beiden Tschechoslowaken und der Menge am Ende der Rotkirchstraße Herr Stadtsekretär Müller zwei andere Tschechoslowaken bemerkte, die mit den beiden angehaltenen Tschechoslowaken sprachen, und nachher eilenden Schrittes der Landwehrkaserne zugingen. Es muß daher angenommen werden, daß diese das tschechoslowakische Militär in der Landwehrkaserne alarmierten, weil nachher tschechoslowakische Streifwachen überall auftauchten. Die vor dem Stadthause angesammelte Menge ging über den Marktplatz hinauf in die Bahnhofstraße und sang. Herr Stadtsekretär ging nach, sah, daß die Menge an der Kreuzung Bahnhofstraße - Schanzstraße anhielt, wieder ein Lied anstimmte und hörte nachher ein Auto halten, welches unter Heilrufen wieder davonfuhr.

Stadtsekretär Müller ging durch die Absperrung durch, hielt Ausschau nach dem städt. Polizeiposten, der von Wachmann Zimmermann dortselbst versehen wurde, und war nachher mit dessen Hilfe an der Absperrung der Straße mit tätig. Wiederholt wurde eine telefonische Verbindung mit der städt. Wache zu erhalten versucht, allein es war unmöglich, eine solche zu erreichen. Erst durch einen Boten erhielt Herr Stadtsekretär Müller von der Wache Verstärkung, die in entsprechenden Abständen in der Bahnhofstraße aufgestellt wurde. Nach dem Abfahren des Autos zog eine kleine Menge Studenten, Mädchen und anderen Jugendlichen durch die Bahnhofstraße zurück, die Ringstraße hinauf zur Schmeykalstraße gegen die Obertorschule. Während des Gehens wurde gesungen. Wie nun aus den Zeugenaussagen der einwandfreien Zeugen hervorgeht, wurde schon bei der Margarethenvilla das Herannahen einer tschechoslowakischen Schwarmlinie in der Schmeykalstraße beobachtet. Als die Menge, welche die Absicht hatte, in der alten Landwehrkaserne um Freilassung der Verhafteten bittlich zu werden, den freien Platz zwischen Margarethenvilla und Schulhaus einerseits, Obertorpark anderseits erreichte, fielen plötzlich, ohne jedwede Aufforderung an die Menge, auseinanderzugehen, von der tschechoslowakischen Schwarmlinie, die gegen das Ende der Obertorschule in der Schmeykalstraße hinauf zu Aufstellung genommen hatte, scharfe Schüsse. Es ist durch die Zeugenaussagen sichergestellt, daß der kleine Trupp junger Leute sich außer dem Singen ganz ruhig verhielt und zum Schießen nicht den geringsten Anlaß gab. Schüsse von dieser Menge oder aus einem Hause, sind laut den Zeugenaussagen, nicht gefallen. Herr Stadtsekretär Müller schaute zur Zeit der Abgabe dreier Salven in die Schanzstraße hinauf. Diese drei Salven wurden zehn Minuten vor sieben Uhr abgegeben. Schüsse, die etwa vorher gefallen sein sollten, wurden von ihm nicht gehört. Dies kann Wachmann Richard Zimmermann und städt. Oberoffizial Turek mit bezeugen. Alle drei standen zur Zeit der Abgabe der Schüsse bei einander.

Nach den ersten Schüssen stob die Menge junger Leute auseinander.

Verletzt wurden folgende Personen: Josef Christl, Schüler des 3. Jahrgangs der Lehrerbildungsanstalt, wohnhaft Eger, Schlöglgasse 11, Sohn der Bürgerschullehrers Josef Christl in Gossengrün. Er erhielt einen Schuß in die Schlagader des linken Oberschenkels und wurde von dem Zeugen Johann Paulus, wohnhaft Eger, Ringstraße 37, auf der Wiesenecke Schanzstraße-Bismarckstraße, in der Nähe des großen Kastanienbaumes auf dem Bauche liegend aufgefunden, in die Wohnung des Herrn M.-U-Dr. Cartellieri in die Margarethenvilla getragen, woselbst im Herr Karl Heller, Reisender, Eger, Junkerstraße 31 wohnhaft, einen Notverband anlegte. Die Herren Ärzte Dr. Glaser, Dr. Lohr, Rgt.-Arzt Dr. Stipl und Dr. Tieber leisteten den Schwerverletzten sofort ärztliche Hilfe. Der Schwerverletzte verschied schon um 7 Uhr 10 Min. abends infolge großen Blutverlustes. Herr Stadtphysikus Dr. Tieber ordnete die Überführung desselben noch am Abende in die Friedhofskammer an.

Fräulein Gretl Reinl, Eger, Pogratherstraße 48 wohnhaft, Tochter des Bahnbediensteten Reinl, erhielt einen Lungenschuß links unter dem Herzen, wurde ebenfalls in die Wohnung des Herrn MUDr. Cartellieri gebracht, erhielt einen Notverband von Herrn Karl Heller und wurde nachher von den angeführten Ärzten behandelt, ins Krankenhaus überführt, woselbst sie am 4. März l. J. in der Früh infolge innerer Verblutung gestorben ist. Den Schuß erhielt sie an der Obertorparkecke.

Herbert Patig, Schüler der 4. Klasse des Gymnasiums, 15 Jahre alt, Sohn des Landesgerichtsrates Dr. Josef Patig, erhielt einen Darmschuß und eine Beckenknochenzersplitterung. Herbert Patig war am Nachhauseweg mit seiner Schwester, kam zufälligerweise gerade zu der Menge als die Schüsse fielen. Er wurde noch in die elterlichen Wohnung gebracht, von da aus ins Krankenhaus geschafft und sofort operiert. Sein Zustand ist sehr bedenklich und dürfte er kaum mit dem Leben davon kommen.

Franz Fischer, 20 Jahre alt, Sohn des verstorbenen Anton und noch lebenden Leni Fischer, Eger, Barbarossastraße 25, erheilt einen Streifschuß am linken Unterschenkel; er wurde im allgemeinen Krankenhause verbunden und befindet sich in häuslicher Pflege. Fischer war am Heimwege und blieb in der Nähe des Obertorparkes, da er die Menge kommen sah, stehen.

Oskar Leser, Schüler des 3. Jahrganges der Lehrerbildungsanstalt in Eger, Ringstraße 46 wohnhaft, Sohn des Karl Leser, Steueramtsverwalter in Petschau, Bez. Tepl, erhielt einen Streifschuß in der Nähe des Gesäßes. Er ging vom Obertorpark gegen die Stadt zu, blieb bei der Franzvilla in der Schmeykalstraße stehen und ließ die Menge jugendlicher Leute vorbeigehen. Leser stand mit dem Rücken gegen die Frankvilla.

Herbert Misov, Schüler des 4. Jahrganges der Lehrerbildungsanstalt in Eger, Junkerstraße 9 wohnhaft, Sohn des Leo Misov, Hopfenhändler in Saaz erhielt bei der Villa Frank in der Schmeykalstraße einen Streifschuß an der rechten Schulter und an der rechten Wade eine PRellung, die von einem Geller herrühren dürfte. Misow ließ am 4. März in der Früh seine Verletzungen im Krankenhaus verbinden.

Eine Kugel durchlöcherte die beiden Fensterscheiben im Schlafzimmer des Herrn MUDr. Cartellieri in der Margarethenvilla, ging durch die Schlafzimmertür und schlug oberhalb der Korridortürverkleidung im Vorhause noch ein 3 Zentimeter tiefes Loch in die Mauer. Aus der Mauer bohrte sie Wachmann Georg Kleh im Beisein des Herrn Dr. Bernardin, Bezirksobmann in Eger und des Stadtsekrtärs Herrn Müller heraus. Der Richtung nach kam das Geschoß von der Schmeykastraße vom Obertorpark her geflogen. Im Schlafzimmer schließ zur kritischen Zeit das ein viertel Jahre alte Kind in einem Kinderwagen. Die Gewehrkugel ist beim städtischen Polizeiamte aufbewahrt.

Am selben Abend und zwar am 3. März L. J. nach dreiviertel 7 Uhr abends durchschlug eine Gewehrkugel das südliche Küchenfenster des Wohnung des Herrn Oberlehrer Harlfinger, der im evangelischen Pfarramte wohnt. Der Richtung nach kam die Kugel von der Schmeykalstraße geflogen, durchschlug 2 Fensterscheiben, schlug oberhalb des Ofens an die Mauer an, von wo sie wieder auf das Fensterbrett zurückprallte. In der Küche befand sich Frau Oberlehrer Harlfinger, die einen starken Luftdruck verspürte.

Als Kommandant der Schwarmlinie, welche in der Schmeykalstraße beim Obertorschulhaus in die kleine Menge die Schüsse abgab, wird Franz Nowak, Zugsführer des 42. tschechoslowkischen Inf.-Reg. namhaft gemacht.

Sicherheitswachmann Emil Nemethy erstattete die schriftliche Meldung, daß am 3. März um 8 Uhr abends 3 tschechoslowakische Soldaten in der Schiffgasse gegen den Balthasar-Neumann-Platz auf einige junge Burschen ohne besonderen Anlaß sechs scharfe Schüsse abgaben.

Festgestellt sei auch, daß die Tschechoslowaken nach dem Schießen beim Obertorschulhaus sich um die Verletzten gar nicht kümmerten.

Der verstorbene Christl wurde heute den 5. d. M. vormittags halb 12 Uhr direkt von der Leichenhalle des hiesigen Friedhofes nach Gossengrün überführt.

Bei der Überführung hielt Herr Professor Leopold Schopf eine tiefergreifende Trauerrede. Zahlreiche Blumenspenden waren eingelaufen, unter anderem auch von der Stadtgemeinde Eger, dem Lehrkörper und den Schülern. Die Beteiligung von Leidtragenden war eine äußerst zahlreiche. Unter den Trauergästen bemerkte man auch den Leiter der Bezirkshauptmannschaft Hofrat Dudek.

Das Leichenbegängnis des Fräuleins Margareta Reinl findet am Freitag, den 7. d. M. um halb 3 Uhr nachmittags von der Kapelle des Allg. Krankenhauses aus statt.

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Egerer Zeitung, Dienstag, den 25. März :

Die Vorgänge in Eger am 3. März. Die amtliche Untersuchung.

Am 18. d. M. um 11 Uhr Vormittag fand in Anwesenheit des von der tschechoslowakischen Regierung zur Untersuchung der Ereignisse vom 3. März hieher entsandten Hofrates Heisinger, weiteres des Stationskommandanten Major Müller und des Stadtsekretärs Karl Müller eine Besichtigung des Tatortes bei der Obertorschule statt.

Stadtsekretär Müller zeigte auf Grund der von ihm aufgenommenen Protokolle den Kommissionsmitgliedern den Standort der Demonstranten sowohl wie den Standort der tschechoslowakischen Schwarmlinie und die Stelle, wo der Student Christl erschossen und die übrigen jungen Leute verwundet wurden. Major Müller behauptete bei dieser Gelegenheit, daß aus der Obertorschule oder aus dem benachbarten, dem Baumeister Kraus gehörigen Hause, sowie aus der Schar der Demonstranten nach Aussage seiner Leute auf dieselben geschossen wurde, und daß die tschechische Schwarmlinie, wenn sie sich genau an die Vorschriften gehalten hätte, n o c h s c h ä r f e r hätte vorgehen müssen. Stadtsekretär Müler entgegnete, daß aus den Aussagen höchst vertrauenswürdiger Zivilpersonen das gerade Gegenteil hervorgehe, die jungen Leute hätten nur gesungen, sonst sich aber gar nichts zuschulden kommen lassen. Beim Hause des Baumeisters Kraus standen zur kritischen Zeit Oberlandesgerichtsrat Josef Müller, Staatsanwaltstellvertreter Robert Börsch und einige Schritte weiter im Park der Oberoffizial der Staatsanwaltschaft Patzer. Diese gewiß ehrenwerten und glaubwürdigen Männer bestätigen übereinstimmend, daß weder aus einem der Häuser, noch auch aus der Schar der Demonstranten ein Schuß fiel und daß sich die jungen Leute absolut nichts Strafbares zuschulden kommen ließen. Major Müller erwiderte hierauf, daß diese Aussagen unglaubhaft und für ihn nicht maßgebend seien, im übrigen habe er festgestellt, daß nur vier scharfe Schüsse abgegeben wurden. Auf die Bemerkung des Stadtsekretärs, daß er die Ehre abwesender, höchst ehrenwerter Männer nicht in den Kot ziehen lasse, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, die aber schließlich durch Hofrat Heisinger geschlichtet wurde. Bei dieser Gelegenheit leistete sich Major Müller den merkwürdigen Ausspruch: "Sie haben kein Recht, der Militäranwaltschaft eine Anzeige zu erstatten."

Hierauf wurde in der Wohnung des praktischen Arztes Dr. Cartellieri in der Margaretenvilla ein Lokalaugenschein vorgenommen. Ein Geschoß hatte das Fenster, den Vorhang und die Zimmertür durchschlagen und war dann im Vorzimmer oberhalb der Türverkleidung in der Wand steckengeblieben. Bezüglich der Schußrichtung wurde festgestellt, daß das Geschoß von der Parkseite und zwar beiläufig gegenüber der Mitte der Obertorschule abgefeuert wurde. Major Müller erklärte, daß der betreffende Soldat den Schuß in die Luft abgegeben haben müsse, und fügte wörtlich hinzu: "Meine Soldaten waren noch sehr rücksichtsvoll, hätten sie ihre Pflicht getan, so hätten sie alle in die Menge hineinschießen müssen, denn sie wurden beschimpft, mit Steinen beworfen und angespuckt."

Sodann wurden die protokollarischen Aussagen der vorerwähnten drei Zeugen verlesen, wozu Hofrat Heisinger bemerkte, daß dieselben wohl beeidigt werden müßten. Major Müller erklärte, er hoffe, daß auch seine Soldaten unter Eid aussagen werden, das in den Protokollen Enthaltene sei Lüge. Die Situation wurde abermals kritisch, als sich Stadtsekretär Müller gegen die Beschimpfung Abwesender verwahrte und darauf hinwies, daß es Tatsache sei, daß die Provokationen und Übergriffe seitens der tschechoslowakischen Soldaten vorkamen. Major Müller möge auf seine Leute einwirken und sie zur Mäßigung verhalten. Major Müller entgegnete gereizt, er lasse sich von niemanden einen Rat erteilen, er diene seit 25 Jahren und nicht nur in Böhmen. Er habe die Deutschen bis jetzt geachtet, nunmehr aber habe er alle Achtung verloren. Die Zeitungsredakteure, die Professoren, überhaupt die Intelligenz Egers sei es, die die Jugend aufreize. Insbesondere von den Redakteuren sollte jeder Einzelne "fünfunzwanzig" erhalten. Stadtsekretär Müller erwiderte, der Herr Major scheine keine tschechischen Zeitungen zu lesen, sonst müsse er eine andere Meinung haben, auf welcher Seite verhetzt und aufgereizt werde.

Schließlich wurde noch in der Küche der Wohnung des Oberlehrers Harlfinger im evangelischen Pfarrhause ein Lokalaugenschein vorgenommen. Die Kugel durchschlug dort das Küchenfenster, prallte sodann auf das Fensterbrett des Küchenfensters zurück, wo sie von Frau Harlfinger gefunden wurde.

Über Ersuchen des Hofrates Dudek waren am 19. März um 3 Uhr nachtmittags Bürgermeister Friedrich, Stadtrat Alfred Bernardin, Stadtsekretär Müller, Major Müller, Hauptmann Malik und Leutnant Blaha behufs Aussprache über die Ereignisse am 3. März l. J. bei der Bezirkshauptmannschaft Eger erschienen. Hofrat Heisinger führte den Vorsitz. Der Versammlung wohnte noch Hofrat Dudek und Kanzlist Korb als Schriftführer bei.

Hofrat Heisinger sprach im allgemeinen über die Ereignisse am 3. März und erklärte, daß der Verlauf dieser Ereignisse nicht ganz aufgeklärt sei, daß die Angaben der Zivil- und Militärpersonen sich widersprechen und daß nach den von militärischer Seite gemachten Angaben die Demonstration größeren Charakter hatte und sich Vorfälle ereigneten, welche die Anwendung der Waffe gerechtfertigt erscheinen lassen. Die heutige Besprechung habe den Zweck, in dieser Sache Aufklärung zu schaffen.

Hierauf verlas Leutnant Blaha die Ausage des Infanteristen Anton Cerny, deren Inhalt zu wiederholten Richtigstellungen Anlaß gab. (Absingen der Lieder vor dem Stadthaus, angeblicher Stoß durch eine Dame und Anspucken während des Ganges von der Ecke Rotkirchstraße - Langegasse zum Stadthaus.) Hiebei verwies Bürgermeister Friedrich auf den Polizeibericht über die Ereignisse vom 3. März und erklärte, daß er für dessen Richtigkeit schon mit Rücksicht auf die Person des Verfassers bürgen könne. Hierauf stellte Bürgermeister Friedrich die Frage, ob die in Stadt entsandte Patrouille eine der täglich entsendeten oder eine besondere war. Hauptmann Malik äußerte sich, daß dies eine besondere Patrouille war, welche er auf Grund der Meldungen, daß die Plakate herabgerissen werden, entsendet hatte.

Im Laufe der weiteren Erörterungen wurde auch die Plakatierung des Aufrufes des Obersten Slezacek besprochen, wobei die Vertreter der Stadtgemeinde Eger darauf verwiesen, daß die Plakattafeln Eigentum der Stadtgemeinde Eger seien und daß die Plakate der Stadtgemeinde zu übergeben gewesen wären, welche die Plakatierung durch ihre Angestellten besorgt. Es liege daher in dieser eigenmächtigen Plakatierung durch die Soldaten ein Übergriff.

Major Müller erklärte, daß er den Auftag zur Plakatierung vom Militärinspektorat in Pilsen erhalten habe und daß er diesen Auftrag, der für ihn allein maßgebend gewesen sei, auszuführen hatte. Es sei ihm auch nicht bekannt gewesen, daß die Plakatierung durch die Stadtgemeinde Eger erfolge und wäre es Sache der Stadtgemeinde Eger gewesen, ihm dies bekanntzugeben; da die Stadtgemeinde dies nicht getan habe, so treffe diese ein Verschulden. Die Vertreter der Stadtgemeinde bemerkten hierauf, daß es Sache des Major Müller gewesen wäre, sich zu erkundigen und wiesen darauf hin, daß auch die Bezirkshauptmannschaft Eger ihre Bekanntmachungen der Stadtgemeinde Eger zur Veranlassung der Plakatierung übergebe. Major Müller blieb bei seinem Standpunkte und erklärte, daß er diesbezüglich keine Kritik dulde.

Bürgermeister Friedrich bemerkte hierauf, daß die bestehenden Gesetze und Verordnungen von jedermann zu beobachten seien und daß durch die eigenmächtige Plakatierung tatsächlich ein Übergriff begangen worden sei. Major Müller erklärte dies als eine Arroganz. Bürgermeister Friedrich verwahrte sich gegen diesen Vorwurf mit den Worten: "Ich bin nicht arrogant", worauf Major Müller von seinem Sitze aufsprang und dem Bürgermeister drohend zurief: "Benehmen Sie sich nicht so arrogant, oder . . . " Hierauf erklärten selbstverständlich die Vertreter der Stadtgemeinde Eger, daß sie mit Rücksicht auf dieses Verhalten des Majors Müller nicht in der Lage seien, an der Verhandlung weiter teilzunehmen und solches Verhalten auch jede Verhandlung unmöglich mache. Hierauf verließen sie das Verhandlungszimmer.