Stellungnahme von Prof. Coolidge

Prof. Coolidge, Mitglied des US-Regierungsausschusses zur Vorbereitung des Friedens, am 10. März 1919 an die US-Delegation:

... würde man den Tschechoslowaken das ganze Gebiet zuerkennen, das sie beanspruchen, so wäre das nicht nur eine Ungerechtigkeit gegenüber vielen Millionen Menschen, die nicht unter tschechische Herrschaft gelangen wollen, sondern es wäre auch für die Zukunft des neuen Staates gefährlich und vielleicht verhängnisvoll ...

Das Blut, das am 4. März geflossen ist, als tschechische Soldaten in mehreren Städten auf die deutsche Menge feuerten, ist - obwohl es im Vergleich zu den Opfern, deren Zeugen wir geworden sind, nur ein Tropfen ist - auf eine Art und Weise vergossen worden, die nur schwer verziehen werden kann ...

Betrachtet man die Grenzen Böhmens und Mährens der Reihe nach, so bin ich der Ansicht, daß

a) im Süden Nieder- und Oberösterreich so weit als möglich bis zur jetzigen ethnischen Grenzlinie ... auszudehnen wäre,

b) dem Bezirk Eger, der nicht zum ursprünglichen Böhmen gehört, die Vereinigung mit Bayern gestattet werden sollte, wenn er dies wünscht,

c) im Fall des großen, reichen Nordböhmen ist die Frage viel schwieriger. Von Sachsen ist es durch natürliche Hindernisse getrennt; es ist von großem wirtschaftlichem Wert und sein Verlust wäre für die Tschechoslowakei ein schwerer Schlag. Wenn andererseits - was offensichtlich der Fall ist - der Wunsch nach einer Trennung von Böhmen mit überwältigender Mehrheit laut wird, so ist die Rechtmäßigkeit dieses Anspruchs nicht zu bestreiten. Wird er erfüllt, so sollte man in Zweifelsfällen zu tschechischen Gunsten entscheiden. Wird er nicht erfüllt, so müßte dem Gebiet von Eger eine größtmögliche Ausdehnung gegeben und auch noch andernorts Modifikationen im Rahmen des Möglichen durchgeführt werden. ...

Prof. Coolidge über die Argumentationsweise der tschechischen Politiker bei der Pariser Friedenskonferenz:

...Ein recht deutlicher Konflikt zwischen den Rechten der Nationalität einerseits und denen der Geschichte sowie den geographischen Gegebenheiten andererseits wird durch die Grenzen hervorgerufen, welche die Tschechoslowaken fordern, die in unlogischer, doch menschlich verständlicher Weise ihre Ansprüche auf die zwei Hälften ihres Territoriums auf zwei einander entgegengesetzte Prinzipien gründen. In Böhmen verlangen sie die "historischen Grenzen", ohne Berücksichtigung der Proteste einer großen Zahl Deutscher, die auf diese Weise nicht in den tschechoslowakischen Staat hineingenommen werden wollen. In der Slowakei bestehen sie auf den Rechten der Nationalität und beachten nicht die alten und deutlich erkennbaren historischen Grenzen Ungarns. Ich glaube, daß der nationale Anspruch hier der stärkere ist, obwohl er nicht überspannt werden darf; d.h. ich halte es für richtiger, daß ein großer Teil Deutschböhmens nicht dem tschechoslowakischen Staat einverleibt wird, selbst wenn die historische und geographische Einheit Böhmens unter einer solchen Amputation leidet, währendessen die Slowakei von Ungarn abgetrennt werden sollte, selbst wenn es den Ungarn noch weit mehr schmerzt ...

Denn wenn zum zukünftigen Böhmen eine große Zahl zutiefst unzufriedener Bewohner gehören würde, die jenseits der Grenze hinter sich Millionen Angehöriger des gleichen Volkes haben, wird Böhmen ein gefährliches und, auf lange Sicht gesehen, kaum ein erfolgversprechendes Experiment sein ... Einiges Gewicht muß den wirtschaftlichen Erwägungen beigemessen werden; aber das heute so oft zu hörende Argument, ein Staat könne nicht ohne diese oder jene beanspruchte Gebietsecke existieren, sollte nur nach genauester Prüfung angenommen werden ...