Das staatsrechtliche Verhältnis der Stadt Eger und des Egerlandes zum Königreich Böhmen

(von Hermann Stock)

 

In der Zeit der Stauferkaiser erlebte die freie Reichsstadt Eger politisch seine Blütezeit. Mit der Verpfändung der Stadt im Jahre 1322 an den böhmischen König Johann von Luxemburg änderte sich auf lange Sicht die Lage entscheidend; dieses Ereignis war der Angel- und Bezugspunkt der Egerer Diplomatie für Jahrhunderte. Durch die Verpfändung verlor sie keineswegs ihre Rechte als freie Reichsstadt und sie wurde auch nicht definitiv in das Königreich Böhmen incorporiert, schon deshalb nicht, weil die Verpfändung, dem Rechtsverständnis des Mittelalters entsprechend, ein Rechtsakt zwischen zwei Personen war und nicht zwischen zwei Staaten (im modernen Sinne); schon aus letzterem Grunde ist die Behauptung, die aus ideologischer Sicht aufgestellt wird, Eger wäre mit der Verpfändung Böhmen incorporiert worden, unhistorisch und laienhaft. Die Verpfändungsurkunde verdeutlicht schon selbst, daß die Stadt Gesetzgebung über die Bürger und Landesinsassen behielt, ihre ständischen Rechte, das Münzrecht usw.

Bei jedem Wechsel des böhmischen Landesherrren ließen sich die Stadtherren ihre Privilegien nach der Verpfändungsurkunde und den darüber hinaus gehenden verliehenen Privilegien neu bestätigen. Aber auch die böhmischen Landesherren waren am Pfandbesitz Egers durchaus interessiert und förderten vor allem deren Wirtschaftsinteressen. Schon der Sohn Johanns, Kaiser Karl IV. (1346 – 1378), gab den Egerern die Rechte der Bürger von Brünn und Prag und den zollfreien Handel in Mähren und Böhmen und schließlich im ganzen römischen Reich.

Bis zum Jahre 1417 scheint Eger noch unter den alten Reichsgesetzen gestanden zu sein, denn in diesem Jahr bewirkte Wenzel (der Sohn Karl IV) von Kaiser Sigismund, seinem Bruder, daß Eger von jedem auswärtigen Gerichte befreit wurde, also auch von jedem Reichs-, Hof- und Landgericht. Durch die Hussitenkriege (siehe Anmerkung) erlitt die Stadt Eger und das Land durch häufige Einfälle und Durchzüge der Hussiten bedeutende Verluste, obwohl sich die Stadt als Reichspfand und als katholischer Ort nicht um die Ansichten und Streitigkeiten der Böhmen kümmerte. Zur Entschädigung erhielten sie wenigstens vom Kaiser mehrere Privilegien.

Nach Sigismunds Tod und Albrechts kurzer Regierungszeit kam Eger in eine sehr bedrängte Lage. Um sich vor den innerböhmischen Querelen zu schützen, begaben sie sich in den Schutz des Markgrafen von Brandenburg und des Herzogs von Sachsen. Georg von Podebrad als Führer der utraquistischen Hussiten wurde 1452 Reichsverweser des minderjährigen Ladislaus Postumus und nach dessen Tod 1458 König. Durch den vor seiner Krönung von den Ständen geforderten Übertritt zum Katholizismus zog sich Georg allgemein Mißtrauen zu. 1466 bannte ihn der Papst und beauftragte Matthias Corvinus von Ungarn mit dem Kampf gegen Georg. Eger war nun insofern darin verwickelt, da sie Georg als ihren rechtmäßigen Pfandherren huldigten. Als sie aufgefordert wurden, Matthias zu huldigen, weigerten sie sich, beriefen sich auf ihr Pfandschaftsverhältnis und darauf, daß sie nur dem rechtmäßigen Könige von Böhmen verpflichtet seien. So wurde auch über die Stadt der Bann ausgesprochen; der Markgraf hielt es mit dem Papst und kam ihnen als ihr Schutzherr nicht zu Hilfe. Erst nach Beendigung der Auseinandersetzungen wurde der Bann 1478 gelöst.

Durch die Schwäche und Untätigkeit von König Wladislaus (+1516) waren die Egerer darauf angewiesen, sich selbst zu helfen und kamen so zur größten Selbständigkeit ihrer Geschichte, da sie viele vergessenen Rechte erneuerten oder nicht ganz gesicherte Rechte sich neu bestätigen ließen.

Nach dem Tode Ludwigs 1526 (nach der Schlacht gegen die Türken bei Mohhac) erhielt dessen Schwager, der Habsburger Ferdinand (geb. 1527, gest. 1564), der jüngere Bruder Kaiser Karl V., Böhmen und wurde dadurch Pfandherr Egers. Er bestätigte zwar deren Privilegien als Reichspfand, nahm sie aber auch oft in Anspruch, Steuerbeiträge zu leisten. Daß die Stadt aber dadurch nicht unter den Einfluß der böhmischen Stände geraten konnte, erwirkte sie vom König die Erlaubnis, jede Steuer ihm selbst zustellen zu dürfen.

Bis zum Jahre 1567 verhandelten auch stets kaiserliche oder königliche Kommissäre wegen Steuerbeiträgen mit der Stadt Eger und dem Lande. Von diesem Jahre ab – unter Kaiser Maximilian – forderten die Stände Böhmens immer ungestümer, daß über die Steuer mit der Kammer in Prag zu verhandeln sei. Eger wandte sich sogar an eine Universität mit der Bitte, ein Gutachten abzugeben, ob sie den böhmischen Ständen Folge leisten sollten oder nicht. Die Querelen nahmen aber während der Regierungszeit Maximilians kein Ende.

Unter der Regierung Rudolfs (1575 Kg v. Böhmen, +1612), dem Sohn Maximilians, erneuerten sich häufig die Versuche, die Stadt Eger und das Egerland den Landtagsbeschlüssen Böhmens zu unterwerfen, denn bei der bereits fortgeschrittenen ständischen Gewalt glaubten die böhmischen Stände, daß es keine große Mühe kosten würde, die Absonderung des kleinen Ländchens von Böhmen zu bewältigen.

Ebenso verweigerten die Egerer das Erscheinen am Prager Landtag, als sie 1597 dazu aufgefordert wurden; als der Kaiser selbst sie dazu ermahnte, auf Grund des Prager Landtagsbeschlusses ihren Beitrag an Steuern zu leisten, antworteten sie, daß sie der böhmische Landtagsbeschluß nichts angehe und sie denselben erst übersetzen lassen müßten, da sie denselben nicht lesen könnten.

Unter noch größere Schwierigkeiten kam Eger beim Regierungsantritt Ferdinand II. (1617 – 1637), des Enkels von Ferdinand I. Sie sah sich gezwungen, den Herzog von Sachsen um Vermittlung zu bitten, der Kaiser Ferdinand schrieb, daß Eger "ein auf dem Reichsboden gelegener, der Krone Böhmens nur pfandweise versetzter Ort" sei. "Mit der Böhmen Recht, Kammer und anderen Gerichten ... hätten sie niemals etwas zu tun gehabt..." Dieses Schreiben und die allgemeine politische Lage entspannte das Verhältnis wieder.

Der Sohn Ferdinand II., Ferdinand III., bestätigte der Stadt ihre Privilegien nur mit dem Zusatz : " ...soweit sie der Possession und dieselbe unser verneuerten Landesordnung im Königreiche Böhmen nicht zuwider sind". So gingen also die üblichen Gegendarstellungen weiter; obwohl schließlich die alten Privilegien bestätigt wurden, trachtete man in Prag dennoch danach, stets neue Lasten aufzubürden. Der Fortgang des Krieges und der Einfall der Schweden in Böhmen machte vorläufig alle Neuerungen hinfällig.

Wenn sich auch die Egerer nicht ermüden ließen und dauernd gegen die Prager Zumutungen ankämpften, so konnten sie nur so erfolgreich bleiben wie Don Quichote im Kampf gegen die Windmühlen. So verlor die Stadt im Juni 1725 die Obergerichtsbarkeit , eines der wichtigsten Rechte. Von dieser Zeit an ging es mit dem Verluste der alten Rechte Egers rasch voran, denn schon im Monat August wurde die kaiserliche Tabakadministration ausgeübt; im Dezember kam der Auftrag nach Eger, die kaiserlichen Generalien wegen des Salzes auch hier einzuführen; in dieser Verfügung wurde Eger zum ersten Male eine königliche Stadt genannt, wodurch zu erkennen gegeben wurde, daß sie Böhmen gänzlich einverleibt werden sollte.

Unter Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. wurde auch Eger wie die anderen habsburgischen Länder dem absolutistischen Regiment unterworfen, damit einem einheitlichen bürokratischen Prinzip, in dem es keine Ausnahmen geben konnte. Damit war de jure geregelt, was de facto schon lange gehandhabt worden war.

Erst 1918/19 wurde die staatsrechtliche Stellung Egers und des Egerlandes wieder aktuell; wie bekannt ging auch wie in der Vergangenheit Macht vor Recht.

Anmerkungen:

Hus, Huß: Jan (Johannes), tschechischer Kirchenreformer, geboren als Bauernsohn in Husinec in Südböhmen um 1370, gestorben (verbrannt) am 6.7.1415 in Konstanz. Als Prediger an der Bethlehems-Kapelle in Prag und als Lehrer an der Universität Prag war er sehr publikumswirksam, die auf seiner Verbindung kirchlicher Reformideen mit tschechischem Nationalismus beruhte. Von Wycliffe übernahm Hus seine Lehre von der Prädestination und den Kampf gegen Güterbesitz und Verweltlichung des Klerus und der Klöster. Seine eigentliche Leistung war die kirchlich-nationale Verselbständigung der Tschechen, vor allem auch durch Tschechisierung der Universität Prag, die Schaffung einer einheitlichen Schriftsprache und die Begründung einer tschechischen Literatur.
1411 wurde Hus exkommuniziert; 1414 begab sich Hus mit freiem Geleit des Königs Sigismund nach Konstanz; da er sich dem Konzil nicht unterwerfen wollte, wurde er als Ketzer verbrannt. So wurde er zum Nationalhelden und Märtyrer der Tschechen.

Hussiten: Anhänger des Jan Hus in Böhmen, anfangs wurden sie "Wiklifiten" genannt. Sie bestanden aus zwei Gruppen: der gemäßigten Gruppe der Prager Hussiten, "Utraquisten" (lat. "sub utraque specie", wegen der Forderung des Abendmahls unter beiderlei Gestalten) oder "Calixtiner" (von lat. "calix" = "Kelch") genannt, und der radikalen der "Taboriten" (nach "Tabor"). Ihre religiösen Forderungen waren: Freiheit der Predigt, Laienkelch, Armut des Klerus und staatliche Bestrafung der Todsünder. Der Fanatismus der Bewegung war besonders von politischen Motiven bestimmt. In den blutigen Hussiten-Kriegen verfolgten sie ihre Ziele mit Gewalt. Nicht nur Böhmen, sondern auch Österreich, Ungarn, Bayern, Sachsen, Schlesien, Brandenburg wurden von ihren Horden verheert, die unter ausgezeichneten Führern die von Kaiser und Papst ausgesandten Kreuzheere schlugen. 1433 wurde ihnen der Laienkelch zugestanden. Die weiterkämpfenden Taboriten wurden 1434 von den vereinigten Katholiken und Utraquisten besiegt. Im 16. Jahrhundert wurde die Mehrheit der Utraquisten lutherisch, die Minderheit katholisch. Reste der Taboriten lebten in den "Böhmischen Brüdern" fort.