Die Außerordentlichen Volksgerichte in der Tschechoslowakei
(Edith Bergler, Bayreuth)

 

Dekret 16 vom 19. Juni 1945:

"Über die Bestrafung der nazistischen Verbrecher, der Verräter und ihrer Helfershelfer sowie über die außerordentlichen Volksgerichte"

 

Mit diesem Dekret wurden in den Kreisgerichten außerordentliche Volksgerichtshöfe eingesetzt, die bis 8. Mai 1947 in Kraft waren. Eger war Sitz eines der 24 Volksgerichte, die in Böhmen eingerichtet wurden.

Václav Jiřík beleuchtet in seinem Buch "Nedaleko od Norimberku" (Unweit von Nürnberg), Cheb 2000, das Volksgericht in Eger. Danach nahm dieses Volksgericht am 12. Februar 1946 als letztes in Böhmen seine Tätigkeit auf. Trotzdem ermittelte die Staatsanwaltschaft bereits 1945 in 1.590 Fällen. Die ersten Urteile wurden unter dem Vorsitz von Dr. Titman gesprochen. Ihm folgte der 42jährige Dr. Bohumír Liška. Er fällte 17 Todesurteile.

Laut Dekret bildeten ein Berufsrichter und vier Laien das Gericht, das über Leben und Tod entschied und keine Gnadengesuche zuließ. Todesurteile mußten spätestens nach zwei Stunden vollstreckt werden. Die Gerichtsverhandlungen fanden öffentlich statt. Zeugen wurden in sehr vielen Fällen nicht vernommen.

Das Strafmaß war in diesem Dekret nicht vorgeschrieben, sondern nur umrissen.

§2 schreibt für die Mitgliedschaft und die Tätigkeit in einer nationalsozialistischen Organisation Strafen ab fünf bis 20 Jahren, unter besonders belastenden Umständen schweren Kerker von zwanzig Jahren bis lebenslänglich vor. Die Höhe der Strafe erfolgte danach willkürlich.

Diesen Mißstand belegt Jiřík an den 2.220 Urteilen des Volksgerichts in Eger, wo 1.712 Fälle im Jahr 1946 und 508 im Jahr 1947 verhandelt wurden.

Er schreibt, daß für den gleichen Tatbestand nach dem Einsetzen der Gerichtshöfe wesentlich höhere Strafen ausgesprochen wurden als zum Ende ihrer Amtszeit. Die Verteidiger wagten häufig nicht, gegen die Volksmeinung zu sprechen, da sie sonst der Kollaboration mit den Deutschen bezichtigt werden konnten. Waren die Angeklagten, auch Tschechen und Slowaken wurden hier vorgeführt, der tschechischen Sprache nicht mächtig, wurde nur das Nötigste in den Verhandlungen übersetzt, die im Fließbandverfahren erfolgten. Manchmal unterblieb sogar diese Übersetzung.

Mit der Todesstrafe wurden öffentliche Gewalttätigkeit gegen Menschen (Sklaverei, Menschenraub), Mord, Totschlag und schwere körperliche Beschädigung im Dienst einer nationalsozialistischen Organisation geahndet.

Jiřík berichtet weiter, daß die Angeklagten in vier Gruppen eingeteilt waren.

I.Gruppe:Nazistische repressive Organe

a) Gendarmerie, Gemeinde- und Kriminalpolizei

b) Gestapo und Sicherheitsdienst

c) Justiz und untergeordnete Behörden

II. Gruppe: Humanitäre und technische Intelligenz, Beamte und Unternehmer

a) Lehrer der Grundschulen

b) Professoren der Mittelschulen

c) Ärzte

d) Beamte und übrige

e) Technische Intelligenz, Unternehmer und Geschäftsleute

 

III. Gruppe: Retributionspflichtige Organisationen

a) Funktionäre der NSDAP und SdP (Sudetendeutsche Partei)

b) Mitglieder der SS

c) Mitglieder der SA

d) Übrige retributionspflichtige Organisationen

IV. Gruppe: Große Zwischenfälle aus dem Jahr 1938

a) Haberspirk (Habartov)

b) Schwaderbach (Bublava)

c) Graslitz (Kraslice)

d) Fleißen (Plesná)

e) Wildstein (Skalná)

Die zahlenmäßig stärkste Gruppe, nämlich 566 Personen, die vor dem Volksgericht in Eger stand, setzte sich aus Mitgliedern der SA (Sturmabteilung) zusammen.

Hier wurden häufig kombinierte Strafen ausgesprochen, die sich aus der reinen Mitgliedschaft und weiteren Retributionsdelikten (z. B. Mitglied beim Freikorps) herleiteten.

Allein die Mitgliedschaft in der SA genügte, um angeklagt und verurteilt zu werden.

Das im Lauf der Zeit zu erkennende geringer werdende Strafmaß bei dieser Gruppe der Angeklagten führt Jiřík darauf zurück, daß der Internationale Gerichtshof in Nürnberg die SA im Gegensatz zur SS nicht als verbrecherisch einstufte, sondern als tragenden Pfeiler des Nazismus bezeichnete.

Das Volksgericht in Eger verurteilte 30 Personen zum Tod, von denen drei entgegen der Vorschrift im Dekret vom Staatspräsidenten begnadigt und mit lebenslänglich bestraft wurden.

39 Urteile lauteten auf lebenslänglich.

232 Personen wurden freigesprochen.

Nach Ablauf der Volksgerichtsprozesse legte Justizminister Prokop Drtina vor dem Parlament einen Tätigkeitsbericht dieser Gerichte für die gesamte Tschechoslowakei vor. Laut Theodor Schieder (Hg.), "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Bd. IV/I, Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei" waren danach 130.111 Verfahren erledigt worden.

713 Personen, darunter 475 Deutsche und 234 Tschechen, wurden zum Tod verurteilt.

741 Personen, darunter 443 Deutsche und 293 Tschechen, erhielten lebenslänglichen Freiheitsentzug.

9.132 Personen hatte man freigesprochen.