Friedrich Dorschner
Schönlind im Kaiserwald

Vorbemerkung:
Das Manuskript ist ein DIN-A-5-Schulheft mit lindgrünem Umschlag mit 9 beidseitig beschriebenen linierten Blättern. Auf der Vorderseite steht in einem umrandeten Feld:

Friedrich Dorschner

Schönlind
im Kaiserwald

Das Manuskript ist in sog. "deutscher" Schrift geschrieben. An Stelle der Wörter, die für mich nicht lesbar waren, setzte ich ein Fragezeichen ein. (Hermann Stock)

 

Schönlind im Kaiserwald

Was man mit den Augen der Jugend gesehen,
überstrahlt noch hell die Erinnerung späterer Tage.

Von Kirchenbirk, dessen Kirche weithinein ins Egerland zu sehen ist, führt die Straße in vielen Windungen durch Wald und Gefälle, über den kleinen Ort Reichenbach an zwei Sägewerken am großen Liebaubach vorbei nach dem Kaiserwalddorf Schönlind.

Oberhalb des am Ebmeter Berg stehenden Fichtenhofes, wo der allgemein benützte Gehweg nach dem hochgelegenen Dorf Ebmet führt, biegt die Straße nach Osten über die Brücke des Liebaubaches. Links im Tale liegt die Schönlinder Mühle, oberhalb der Mühle am Ebmeter Berg einzelne alte Siedlungen und ein alter aufgelassener Judenfriedhof. Über der Brücke rechts beginnen schon die ersten Häuser der Ortschaft, die knapp an der Straße stehen. Dort wo die Straße sich alsbald wieder südlich wendet, stehen kleine Häuser am Hange und auch höher oben kleben einige wie Schwalbennester an dem Berg. Die Wirtschaftsgebäude des Maierhofes und das sogenannte Schloß, die höher liegen, sind von hier nicht zu sehen, weil hohe Bäume die Sicht hemmen. Von der nun nach Süden führenden Straße, die im Gebiete des Liebaubaches weiter nach Hammer und Perlsberg führt, mündet rechts ein Fuhrweg in ein schmales Tal, an dessen beiden Seiten die Mehrzahl der Häuser des Ortes liegen. An der rechten Seite sind sie zusammengedrängter, an der linken Seite vereinzelnder. Vor vielen Häusern sind überdachte Brunnen; hinter den Häusern Gemüsegärten mit vereinzelnden Obstbäumen. Oberhalb der Gärten des aufsteigenden Hanges führt ein Terassenweg parallel mit dem Talweg vom oberen Teil des Ortes bis zum unteren. An diesem Wege stehen wieder an der oberen Seite kleine Holzhäuser. Auch die beiden Kaufläden befinden sich dort. Oben auf der Hochfläche sind die massiv gebauten Häuser der Domäne sichtbar.

Die Schule, am oberen Ende des Dorfes gelegen, ist zweiklassig und ein Ziegelbau. Vom Schulhaus rechts führt ein Weg hinauf zum Schloß.

Links liegt eine großer Park, der Ölgarten genannt, der sich von dem an dem Wege nach Wöhr gelegenen Druglerhof bis zum Schloßweg erstreckt. Links, tiefer als die Straße, lag das langgestreckte ehemalige Bräuhaus, in dem bis kurz vor der Jahrhundertwende die Domäne ihr eigenes Bier braute. Am Ausgange des Ölgartens, gegenüber dem Gasthaus zur schönen Linde, stand eine uralte Linde, von der zweifellos das Gasthaus und der Ort die Namen abgeleitet haben. Dieses Gasthaus hatte zu Lebzeiten mein Onkel Anton Grund, genannt der Wirtsschneider, in Pacht. Er war Wirt und Schneidermeister zugleich. Zwischen dem Gasthaus und dem ehemaligen Rentamt befand sich die mit Nußbäumen bepflanzte Einfahrt zum Maierhof und die Kegelbahn, auf der an Sonn- und Festtagen fleißig gekegelt wurde. Der Maierhof bildete mit der Schafferwohnung, den Stallungen, Scheunen und Remisen ein nur nach der Einfahrt freies abgeschlossenes Rechteck. Das Schloß, ein großes einstöckiges Gebäude, befand sich zwischen Rentamt und Maierhof in einem kleinen Park und hatte oberhalb des Rentamtes eine separate Einfahrt und Eingangspforte. In meiner Jugendzeit gehörte der Besitz der Familie Eifler. "Der alte Herr" wie er im Volksmund genannt wurde, war der Repräsentant des Besitzes. Der junge Eifler war mehr Gelehrter und betrieb Studien, wahrscheinlich medizinische, weil er manchen Kranken seiner Umgebung wieder zur Gesundung verholfen hat und deshalb sehr beliebt war. Mit dem Sohn des jungen Eifler, einem Altersgenossen, haben wir Jungen uns dem von den Alten streng hehüteten Obstgarten, wo die Birnen im Herbst reichlich unter den Bäumen lagen, manche Tasche voll herausgeholt, wenn der alte Herr abwesend war.

Viel Vergnügen hatten wir auch im Herbst, wenn von den Nußbäumen die Früchte fielen. Die Nußkerne schmeckten bitter und sagten uns nicht recht zu - da rieben wir uns Gesicht und Hände mit den grünen Schalen ein und sahen bald so braun aus wie die Indianer. Zuhause bei der Mutter gab es dann immer Spektakel, weil die braune Farbe schlecht zu entfernen war.

Die Bräuerwohnung war mit dem Gasthaus durch eine Tür über den Trockenboden räumlich verbunden. Darunter gab es nach der Auflassung der Brauerei große gewölbte Keller, die als Holz- und Kohlenspeicher verwandt wurden. Am liebsten war uns der schon erwähnte Trockenboden, ein großes Gelaß, das für unsere Ritterspiele Raum und Verstecke bot. Später nach dem Übergang des Gutes in den Besitz der Herrschaft Schönburg-Wachten ...?-Metternich wurde das Gasthaus zu Kanzleien und Wohnungen verwendet und in die tiefer gelegene Brauerwohnung verlegt.

Die Bewohner des Ortes waren abgesehen von einigen Kleinbauern und Gewerbetreibenden meist Arbeiter, zum Teil ...? am Gut beschäftigt. Die Bauarbeiter arbeiteten während der Saison im Falkenauer Industriegebiet und die Bergarbeiter gingen nach Reichenau in die Kohlenbetriebe Radler(?) und Starck in Arbeit. Die meisten besaßen ein kleines Häuschen und ein Grundstück und fütterten ein oder zwei Ziegen, oft auch eine Kuh. Sozialversicherung gab es damals auch nicht und auch kein von der Gemeinde unterhaltenes Gemeinde- oder Armen-

haus. Die am Hof Beschäftigten erhielten, wenn sie invalid waren, ihr Deputat weiter; die anderen, wenn sie sich nichts erspart hatten, lebten bei den Kindern, die dann das Häuschen und Grundstück erbten. Nur die Bergarbeiter erhielten bei Invalidität und im Alter eine Rente von der Bruderlade(?).

Auch eine Reihe von Kellnern sind aus diesem Ort hervorgegangen, die in den Kurorten Marienbad, Franzensbad und Karlsbad lernten und Dienst machten und es später selbst zu Kurhäusern und Hotels brachten. Auch der ehemalige Besitzer des Kaffeehauses auf der Insel Mühlerl in Eger Emil Theierl(?) stammte aus einer Schönlinder Kellnerfamilie.

Damals, wo es noch keine Fahrräder gab, mußten die Bergarbeiter und alle, die im Industriegebiete arbeiteten, täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage diesen weiten Weg zu Fuß gehen, der vom Wohnort zur Arbeitsstelle mindestens 2 1/2 Stunden, daher täglich 5 Stunden betrug. Die heutige Welt wird dies kaum glauben wollen und doch ist es so gewesen.

Mein Onkel und Pate Friedrich Grund (Wirtschneider ((?)) Friedl), der in seinen freien Stunden auch Klarinettenbläser war, arbeitete 30 Jahre bei Radler in Reichenau, von dem die Kunde ging, daß er wegen seiner Bergkapelle in seinem Betrieb hauptsächlich Musiker bevorzuge.

Manches heitere Stücklein gäb es zu erzählen aus dem Leben meines Onkels, dieses originellen Bergarbeiters. Wenn manchmal der Onkel Friedl nach der Lohnzahlung am Samstag nicht zur gewohnten Stunde nach Hause kam, wurde meine Tante unruhig und brummte: "Dau sitzta sicha wida in Birk oda sünstwau - da alta Picha!" - Es kam dann vor, daß sich Tante Maria langsam reisefertig machte und brummend nach Kirchenbirk wanderte, in allen Gasthäusern nach dem Onkel Nachschau haltend. Manchmal ging ihre Reise bis zu Neiwalds(?) Gasthaus an der Hauptstraße oberhalb des Ortes Reichenau, wo Friedl mit seinen Kumpanen sorglos beim Kartenspiel (Schaufkopfm) saß. Da gab es natürlich ein frohes Wiedersehen mit drastischer Begrüßung. Den Heimweg füllten die Moralpredigten der Tante mit allen Injurien des Egerländer Sprachschatzes aus und dauerten auch daheim noch fort. Mein Onkel ließ die Maria schimpfen, schmunzelte vergnügt in sich hinein und entgegnete kein Wort. Nachher sagte er manchmal zu mir: "..., döi haut a laus Maal. Wause no döi Hafm Würta her nimmt. Dös sicht ma dea gaua neat aan." Nun ruhen sie schon lange am Kirchenbirker Friedhof. Ihr einziger Sohn, "der Birker Toni", der die Bäckerei erlernte und bis in sein spätes Alter bei Kaufmann Hönig in Kirchenbirk beschäftigt war, ist seit der Vertreibung verschollen und wird wohl irgendwo in einem Lager gestorben sein. Er war als Frächter(?) der Firma Hönig(?) mit seinem Wagen und seiner Rosinante zwischen Falkenau und Kirchenbirk eine bekannte Persönlichkeit. Zuletzt lebte er in den Hinterhäusern zu Siefengrün? bei einer dort verheirateten Tochter.

X Schulfest - Nachtrag

Zu gedenken wäre noch der Schönlinder Schulfeste, die auf einer Waldblöße zwischen Wöhr und Schönlind beim roten Marterl stattfanden. Da gab es viele Beschäftigungen für die Jugend, auch für Speise und Trank war reichlich gesorgt. ...der Kletterstange gab es viel Spaß ... ... und glatt geschälte schlanke Fichte war am Wipfel mit einem Reifen gekrönt auch reichlich Würste ...hingen, die ... klettern ... der Reifen konnte an einer starken Schnur tiefer gesenkt und wieder hochgezogen werden und es gab viel Spaß, wenn ein guter Kletterer an der glatten Stange immer höher den Reifen folgte bis zur Spitze und sich dann reichlich einsteckte, was zu erreichen war. Mit einer Knackwurst im Mund und noch zwei waren irgendwo in den Hosen verborgen, rutschten sie von der glatten Stange herunter. Sie waren ehrlich verdient ... Nach der Auflassung der Brauerei fanden diese Schulfeste nicht mehr statt, da jedenfalls diese Feste

Die Schulleiter der Schönkircher Schule waren damals Franz St b rei(?), der um 1900 herum in gleicher Eigenschaft nach Pichlberg bei Hartenberg versetzt wurde und dessen Nachfolger Oberlehrer August Tischner wurde, der, ich glaube aus Frohnau kam und mit dem ich später manche literarische Unterhaltung führte und viele gesellige Stunden verlebte.

Nachdem auch dieses Kaiserwalddorf wie alle anderen durch die Vertreibung entvölkert wurde und dem Verfall und der Vernichtung preisgegeben ist, - denn auch bei einer Rückkehr in die Heimat werden diese entlegenen Orte kaum mehr besiedelt werden, - hat es mich gedrängt, diesen bescheidenen Beitrag zur Heimatgeschichte niederzuschreiben.

1957 Dorschner

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